jeden Tag 1 Textstelle aus einem Buch
illustriert von Peter Lüthy, Marisa Meroni & Debora Gerber
so schön war unser Adventskalender im Schaufenster!
Dort ist einem, als käme man aus einem Keller heraus, und alle verweilen einen Augenblick, um aufzuatmen. Giovanni fluchte, doch dann schlug er die Hände vors Gesicht und liess sich gehen. Wir sahen, wie sein Rücken von Schluchzen geschüttelt wurde, und hätten am liebsten mitgeheult. »Und die Mutter hatte gehofft, sie könnte die Schulden bezahlen! Und zu Weihnachten endlich einmal Luft haben!«
Nicht Anfang und nicht Ende – Plinio Martini
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Du riechst irgendwie muffig«, sagte Anna lachend.
Bestimmt der Geruch nach dem Untergeschoss. So wie andere, die mit Fischen in Berührung sind, nach Meer riechen.
Ich glaube eher, ich stank nach Einsamkeit.
Quallen haben keine Ohren , Adèle Rosenfeld
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Ich fasse sehr gerne verschiede Materialien an. »Nume mit de Auge luege« war mir schon als Kind ein Rätsel.
Anders nicht falsch – Maria Zimmermann
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Auf den Löffel passte nur wenig Käse, also schaufelte sie immer mehr auf den Teller, irgendwann musste sie das Schälchen neigen, ihr Blick traf sich mit seinem,
Gewässer im Ziplock – Dana Vowinckel
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Wochen vor ihrem Wegzug hatte Emmerich ihr gesagt, dass er sich Liebe als Raum denke und dass seine Vorstellung von diesem Raum unendlich sei.
Hinter der Hecke die Welt – Gianna Molinari
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Der Griff des Winters jedoch liess nach. Die Temperaturen begannen, um den Gefrierpunkt zu pendeln. Licht und Dunkel holten gleichmässig Schwung, nur wenige Tage noch, bis sie ebenbürtig waren. Aava packte eine Unruhe, eine Unrast. Sie marschierte im Wind, der ständig blies, durchs Dorf..
Sie flogen nachts – Mirja Lanz
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»Ich werde erst wieder kochen, wenn die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern in dieser Welt gleichberechtigt aufgeteilt ist.«. Dann tischt sie die Pasta vom Vortag auf: oben kalt, unten verbrannt.
»Dafür kann sie anderes«, erklärt unsere Tochter ihrem Bruder und mir
Elter werden – Mikael Krogerus
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Eine Apfeltarte, glasiert mit Marmelade und geschmückt mit Nüssen und getrockneten kleinen Rosen. Danach im Tiefkühlfach gefroren und zwei Jahre lang nicht mehr herausgenommen und gegessen.
Kochen im falschen Jahrhundert – Teresa Präauer
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Von da an wagte ich es nicht mehr, nachts zu schlafen. Ich lag wach, lauschte in das nicht nachlassende Geräusch des Regens, ich sah das Wasser im dunklen Hof steigen, ich sah, wie es unsere Fenster erreichte und die Scheiben eindrückte, wie es durch unsere Schlafzimmertür brach.
Der Fluss und das Meer – Natascha Wodin
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Wieso fährt er überhaupt mitten in der Nacht durch die Gegend? Er trägt eine graue Jogginghose, war also vermutlich nicht in einer Bar oder so. Vielleicht ein Tinder-Date? Ich bin neugierig. Ich: Wieso fährst du eigentlich mitten in der Nacht durch die Gegend?
Viktor schaut kurz zu mir und antwortet nicht. Wahrscheinlich ein Tinder-Date.
22 Bahnen – Caroline Wahl
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Die Jacke war eine gelungene Umschreibung seines kräftigen Körpers, der Nackenmuskulatur und auch des Brustumfangs. Und er war ihr ein würdiger Inhalt. Er war ein Bomber.
Sam hingegen sah erbärmlich aus. Die Jacke weinte an seinem hageren Körper. An ihm war sie eine Lüge, eine Behauptung aus der seine Beinchen röhrenförmig und beschämend herausragten wie die Wahrheit. An dem Ende dieser Wahrheit dann zwei ausgetretene Turnschuhe, vorne nach oben gewölbt, der linke Schuh bei jedem Schritt ein Schmatzen von sich gebend und der rechte alle drei Schritte den Pfützen lange, quetschende Küsse zuwerfend.
Hund Wolf Schakal – Karim Behzad Khani
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Die Anzahl der Fliesen im Badezimmer entspricht genau meinem Lebensalter. Bald muss ich ein grösseres Badezimmer finden. Ich war glücklich in dem Jahr, in dem mein Alter meiner Schuhgrösse entsprach.
Alpha Bravo Charlie – Tine Melzer
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…da sah ich aus dem Augenwinkel noch das Leuchten, Dann, wie Killer durch die Luft flog….
Ich starrte auf seine Haare, die ihm zu Berge standen, als hätten sie die Orientierung verloren, bevor der einsetzende Regen sie ihm zurück an den Kopf klatschte. Er sah sich um, dann mich an, er verzog den Mund und sagte, klar und deutlich: »Alter.«
Drifter – Ulrike Sterblich
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Durch Lesen verkürzen wir unsere Lebenszeit nicht, wir verlängern sie. In wenigen Stunden können wir die Erfahrungen nachvollziehen, die ein anderer Mensch in Jahren oder Jahrzehnten gemacht hat.
Das glückliche Geheimnis – Arno Geiger
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Der Winterschnee macht, dass sich die welken Blätter verflüssigen und in die Erde sinken und zu Dünger werden, zu Dünger von ihresgleichen. Die Pflanzen ernähren sich von sich selbst. Vielleicht werden wir, wenn tatsächlich niemand, niemand auf der ganzen Welt mehr an Gott glaubt, unsere Lieben nach ihrem Tod aufessen. Begraben in unseren Bäuchen. Und kauend werden wir singen.
Die Jungfrau – Monika Helfer
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»Nein«, sagte ich. »Sie tanzt nur gern die ganze Nacht.«
»Ach so.«
Sie nickte, und mir gefiel das, wie schnell sie begriff. Es war also erst mal egal, dass wir nebeneinander wie Salz und Pfeffer aussahen,
Rezitativ – Toni Morrison
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»Er war nicht sehr gross, aber etwas rund, und am Set hat er viel gelacht, aber wenn die Scheinwerfer ausgingen, war er oft wie ausgeleert. Wie ein Kostüm, das keiner trägt.«
Lichtspiel – Daniel Kehlmann
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Das Schütteln hat sich zu einer Kunstform entwickelt. Viele feilen oft länger an der Schütteltechnik als am Rezept der Drinks. So gibt es den Two-Step- und den Three-Step-Shake mit Twist. Um den Hard Shake zu lernen, werden zweitägige Seminare angeboten.
Alkoholfrei – Nicole Klauss
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Wir sterben alle noch zu Lebzeiten
Im Anfang war das Wort – Simon Chen
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»Ich war spazieren!«, rief sie durch die Regenwand.
»Um zwei Uhr in der Früh?«, fragte Frederika Liebzipfel und tippte mit dem Zeigefinger auf ihr linkes Handgelenk, an dem sich keine Uhr befand.
»Ich hab nicht schlafen können.«
»Was hast du da in deiner Tasche?«
Frederika Liebzipfel lehnte sich weiter aus dem Fenster und blinzelte durch die Tropfen.
»Sachen«, rief Erna Rohdiebl.
»Sachen?«
»Sachen zum Essen.«
»Und der Gartensessel?«
Nincshof – Johanna Sebauer
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Schnee in der Stadt ist von bestimmten Zeitpunkten und Bedingungen abhängig, ein fast so wunderbarer Zufall wie sich zu verlieben.
Fünfzig Wörter für Schnee – Nancy Campbell
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Die gebirgigen Westfjorde lagen im Nordwesten Islands, weit weg von Städten, Ampeln und internationalen Flughäfen. Einer alten Volkssage zufolge hatten einstmals zwei Riesentrolle erbittert versucht, die Westfjorde von der Insel Island abzureissen. Kurz bevor sie es geschafft hatten, war jedoch die Sonne aufgegangen. Da Trolle keine Sonnenstrahlen vertragen, waren sie zu Bergen erstarrt.
Die Spur im Fjord – Hildur Satu Rämö
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Es ist einer der Orte, in denen man selten jemanden trifft, weil alle arbeiten und alle woanders arbeiten. Das heisst, dass man von allem und allen weit weg ist, wenn man zu Hause ist. Lässt man auch dieses Dorf hinter sich, kommen die oberen Etagen. Das Grün, das dort wächst, ist dunkler als unten, weil es nicht von Schuhen platt getreten und von vielen Menschen durchquert wird.
Berghütte – Fanny Desarzens
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Ein Hieb traf ihn in den Magen. Er schob sich rücklings fort, stolperte aber über einen Notenständer und schlug kopfüber aufs Parkett. ER sah Bunic schon mit erhobener Faust vor sich stehen und wähnte alles verloren, da wurde ein Stuhl durch die Luft geschwungen und streckte den Angreifenden zu Boden.
Hans traute seinen Augen nicht: Es war Klara,
Die Inkommensurablen – Rapaela Edelbauer
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